Es ist gut 90 Jahre her, dass die ersten beiden Waschbärenpaare in Nordhessen ausgesetzt wurden – seither haben sich die Tiere in ganz Deutschland – auch in Thüringen – ausgebreitet.
Experten sehen darin ein Problem. Denn die Waschbären bedrohen viele einheimische Tierarten – und gehen dabei nicht gerade zimperlich mit ihnen umg.
Thüringen: Waschbären breiten sich weiter aus
Nachts klappern die Mülleimerdeckel, am nächsten Morgen liegt der Unrat rundherum verteilt auf der Straße. Auf der Suche nach Nahrung sind Waschbären nicht gerade rücksichtsvoll und wählerisch, dafür aber umso geschickter und anpassungsfähiger. Bei der massiven Verbreitung der Tiere in Deutschland ist das inzwischen ein Problem.
„Waschbären fressen immer das, von dem am meisten da ist“, sagt der Wildtierbiologe Norbert Peter von der Universität in Frankfurt. Er untersucht mit anderen Experten im Rahmen des Verbundprojektes Zowiac (Zoonotische und wildtierökologische Auswirkungen invasiver Carnivoren) das Jagdverhalten von Waschbären in ausgewählten Naturschutzgebieten. Im Frühjahr etwa seien das Amphibien, die auf dem Weg zu ihren Laichgründen seien, um dort ihre Eier abzulegen. Der Waschbär wähle sie als Nahrungsressource ganz gezielt aus. „Das kann Auswirkungen haben auf bedrohte Arten.“
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Thüringen: Waschbär fühlt sich nicht nur hier heimisch
Laut Peter bringt es der dämmerungs- und nachtaktive Waschbär mittlerweile auf schätzungsweise zwei Millionen Exemplare bundesweit, Tendenz steigend. „Waschbären sind inzwischen in fast ganz Deutschland anzutreffen“, sagt Torsten Reinwald, Pressesprecher und stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Jagdverbands (DJV). Besonders verbreitet seien die Tiere in Nordhessen, Südniedersachsen und Brandenburg. Sie seien in fast allen Bundesländern unter Beachtung des Muttertierschutzes ganzjährig jagdbar.
Die zur Familie der Kleinbären zählenden Tiere seien ausgesprochen anpassungsfähig und intelligent und könnten sehr gut klettern und schwimmen, erklärt Reinwald. „So können sie sehr viele ökologische Nischen besetzen und anderen Arten den Lebensraum streitig machen oder sie fressen.“ In Thüringen beispielsweise besetzten Waschbären inzwischen die Hälfte aller potenziellen Nistplätze für Uhus und würden die Vögel vertreiben. In Brandenburg weise eine Vielzahl der streng geschützten Europäischen Sumpfschildkröten Verstümmelungen auf. „Die Waschbären fressen ihre Gliedmaßen und plündern ihre Gelege.“ Sie patrouillierten auch an Krötenschutzzäunen und verzehrten die Amphibien aus den Eimern.
„Die Waschbären häuten sie“
Um das Jagdverhalten der Waschbären genauer zu beleuchten, haben Wildtierbiologe Peter und sein Team Daten in Naturschutzgebieten in Hessen sowie in Brandenburg und Sachsen-Anhalt gesammelt. Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass Waschbären auch Fressfeinde (Prädatoren) von streng geschützten Erdkröten, Gelbbauchunken und deren Laich sind. Deren giftige Haut hält sie dabei nicht ab. „Die Waschbären häuten sie, bevor sie sie fressen. Das zeigen viele Opfer-Funde“, berichtet Peter.
Vor allem in isolierten Laichgewässern hätten Waschbären negative Auswirkungen auf das Amphibienvorkommen. „Wir sehen einen Prädationsdruck auf geschützte Amphibien und Reptilien in bestimmten Gebieten, der für diese Arten teilweise bestandsbedrohend ist“, sagt Peter. In Mageninhalten der Waschbären fanden die Forscher nach seinen Angaben häufig Reste von Ringelnattern. Durch genetische Nachweise habe im Untersuchungsgebiet Rheingau-Taunus-Kreis auch ein während der Eiablage gefressenes Exemplar der stark gefährdeten Äskulapnatter identifiziert werden können.
„Der Waschbär ist ein niedliches und knuddeliges Tierchen, aber man darf nicht vergessen, dass er ein Beutegreifer ist“, sagt Julian Heiermann vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Viele Amphibienarten hätten ohnehin schon massive Probleme bei der Reproduktion, etwa durch die Ausbringung von Pestiziden und Dünger, die Zerschneidung der Lebensräume durch Verkehrswege sowie durch den fortschreitenden Klimawandel und die damit einhergehenden Dürren bei denen Laichgewässer wiederholt austrockneten. „Und dann kommt ein Prädator wie der Waschbär noch obendrauf.“
Jagd als wirksames Mittel umstritten
Wie also umgehen mit den possierlichen Plagegeistern? „Los werden wir den Waschbären nicht mehr“, sagt Reinwald. „Aber mit der Jagd können wir die Bestände schon stark reduzieren. Es gibt keine effektivere Maßnahme.“ Unabdingbar sei dabei die Fangjagd, die aber beispielsweise in Berlin nicht erlaubt sei. „Fast 40 Prozent der Tiere werden in Lebendfallen gefangen.“ Die Politik müsse sich zur Jagd als Artenschutz-Instrument bekennen, fordert er.
Der Nabu sieht die Bejagung oder den Fang des Waschbären hingegen kritisch. Eine verstärkte Fallenjagd sei kein probates Mittel, um das Problem zu lindern, sagt Heiermann. „Theoretisch wäre es möglich die Population damit einzudämmen. Praktisch ist das zu aufwendig. So viele Fallen kann man gar nicht aufstellen, um die Waschbärenpopulation großflächig zurückzudrängen.“ Auch Sterilisation und Kastration der Tiere seien keine Lösung, ebenso wenig die medikamentöse Verhütung.
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Eine Musterlösung habe auch der Nabu nicht. „Die Frage ist aus unserer Sicht, wie wir den heimischen Populationen unter die Arme greifen können. Dazu müssen wir ihren Lebensraum stärken. Dann können sie sich wieder besser reproduzieren und Ausfälle besser kompensieren.“ Die Tiere brauchten geschützte und vielseitige Lebensräume, um sich ernähren, verstecken und fortpflanzen zu können. „Amphibien beispielsweise brauchen mehr Gewässer und mehr natürliche Uferzonen mit Versteckmöglichkeiten. Der Waschbär wird sie trotzdem aufsuchen, aber er wird es dann nicht mehr so leicht haben, sie abzugreifen.“