NS-Raubgüter: Klassik Stiftung Weimar setzt Kulturdetektive an
Ein mittelalterlicher Lutherteppich, eine kostbare Almanach-Sammlung, zwei Goethe-Briefe: Sie gehören zu den bislang 136 als NS-Raubgut identifizierten Kunstgütern in der Klassik Stiftung. Seit 2010 wird dort intensiv nachgeschaut.
Egal ob ein Millionen Euro teures Kunstobjekt oder ein einfacher Reiseführer aus den 1930er Jahren, der eine große familiengeschichtliche Bedeutung für die Nachkommen der einstigen Besitzer hat: „Wir forschen zu jedem Verdachtsfall eines NS-verfolgungsbedingt entzogenen oder kriegsbedingt verbrachten Kulturguts gleichermaßen akribisch und machen keine Unterschiede“, sagt die Leiterin des Teams Provenienzforschung der Klassik Stiftung Weimar, Franziska Bomski.
„Gerechte und faire Lösungen“ mit möglichen Erben
Seit 2010 geht die zweitgrößte Kulturstiftung in Deutschland Verdachtsfällen in ihren umfangreichen Sammlungen nach. „Wir streben gerechte und faire Lösungen mit möglichen Erben an, wollen uns nicht mit unrechtmäßigem Eigentum schmücken“, so Bomski. Es gehe um Tranparenz.
Bisher nur ein Bruchteil aller Fälle bestätigt
Von den chronologisch überprüften 5486 Verdachtsfällen aus den Jahren 1933 bis 1939 konnten 2300 (42,6 Prozent) als unverdächtig eingestuft werden. Mehr als ein Viertel (26,4 Prozent) der Verdachtsfälle waren nicht mehr in Stiftungsbeständen vorhanden oder nicht greifbar gewesen. Bei weiteren 28,4 Prozent der Fälle konnte der Verdacht nicht ausgeräumt werden, so dass weiter recherchiert werden muss. „Lediglich 136 – das entspricht 2,5 Prozent aller Fälle – waren eindeutig verfolgungsbedingt“, erläutert der Historiker Sebastian Schlegel. Er geht zusammen mit Bomski, einem weiteren Wissenschaftler und einer Juristin detektivisch Spuren nach und sucht nach möglichen Erben einst unrechtmäßig entzogener Kulturgüter.
Die schwere Arbeit der Kulturdetektive
Was den Kulturdetektiven das Leben schwer macht: Nach all den Jahrzehnten seien Dokumente und Bestandserfassungen oft nur lückenhaft vorhanden. Teils seien Sammlungsbestände noch gar nicht erfasst oder ungenau bezeichnet.
Doch manche Fälle sind schnell gelöst
Selten sei ein Verdachtsfall so schnell und eindeutig zu klären gewesen wie der von zwei Goethe-Briefen, die der Dichter 1827 unter anderem an Friedrich Schillers Schwägerin Caroline von Wolzogen geschrieben hatte. Im Goethe- und Schiller-Archiv stießen Forscher auf ein Schreiben von Reinhard Heydrich, dem Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, an den Thüringer NSDAP-Gauleiter Fritz Sauckel aus dem Jahr 1941. Darin schreibt Heydrich, dass die Briefe 1939 von der Gestapo in Wien aus dem Besitz der Jüdin Josefine Lechner beschlagnahmt wurden und nun dem Archiv in Weimar übergeben werden sollten. Lechner konnte in die Schweiz emigrieren, wo sie 1955 starb. Über die Israelitische Kultusgemeinde Wien machten die Wissenschaftler Nachkommen ausfindig. 2011 erhielten diese beide Brief zurück. Im Gothe- und Schiller-Archiv liegen seitdem Faksimiles.
Goldschmidt zu Notverkauf gezwungen
In der 2000 Bände umfassenden Almanachsammlung des Leipziger Unternehmers Arthur Goldschmidt (1883-1951) beschritten die Erben, die Jewish Claims Conferenz und die Klassik Stiftung einen anderen Weg: Die Kulturstiftung der Länder unterstützte großzügig den Ankauf der Sammlung von den Erben für die Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Dies war laut Stiftung einer der größten Restitutionsfälle im deutschen Bibliothekswesen. 1936 hatte Goldschmidt, der auch ein Buch über „Goethe im Almanach“ schrieb, seine Sammlung mit den jährlich erscheinenden bibliophilen Schriften weit unter Wert für 2000 Reichsmark verkaufen müssen.
Einmaliger Lutherteppich wird endgültig erworben
Zur Thüringer Landesausstellung 2016 über die Fürstendynastie der Ernestiner wurde auch ein restaurierter Teppich des flämischen Wirkmeisters Seger Bombeck aus der Zeit um 1555 gezeigt. Auf dem 1,70 mal 5,90 Meter großen „Lutherteppich“ ist der Reformator zu sehen. 1935 wurde der Teppich von den Kunstsammlungen zu Weimar auf einer Zwangsversteigerung erworben. Er gehörte einer jüdischen Familie Oppenheimer, deren Rechtsvertreter bereits 2003 Ansprüche anmeldeten. 2005 konnte die Stiftung den kostbaren Teppich mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung von der Erbengemeinschaft kaufen.
Noch kein Ende der Sichtungsarbeiten absehbar
Das bis 2021 finanziell abgesicherte Forscherteam nimmt sich derzeit die Stiftungsbestände aus den Jahren 1940 bis 1945 vor. „Auch für diesen Zeitraum gibt es knapp 6000 Verdachtsfälle“, sagt Schlegel. Langfristiges Ziel sei, bis zur Gegenwart alle Sammlungen auf Objekte zu untersuchen, die den Eigentümern einst verfolgungsbedingt entzogen wurden, ergänzt Bomski. Denn auch nach dem Zweiten Weltkrieg könnten derartige Objekte noch nach Weimar gelangt sein, unter anderem durch Ankäufe. Über sechs Jahre wurde die Stiftung bei den Arbeiten zu 50 Prozent gefördert, seit 2017 muss sie die Kosten allein stemmen.
Auch Archiv-Arbeit im Lindenau-Museum Altenburg wird gefördert
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste fördert finanziell derzeit bundesweit Museen, Bibliotheken, Institutionen, Archive sowie erstmals eine Privatperson bei der Suche nach NS-Raubgut. Darunter ist auch das Lindenau-Museum im ostthüringischen Altenburg. Das Haus habe insgesamt 87 Objekte – 79 Gemälde und 8 Plastiken – mit nicht geklärter Herkunft, sagt Direktor Roland Krischke. Sie seien zwischen 1946 und 1955 in das Museum gelangt und müssten auf möglichen „NS-bedingten Entzug“ und ihre Herkunft geprüft werden. Seit 2008 förderten Bund und Länder laut Zentrum die Provenienzforschung mit bislang 23,75 Millionen Euro. Damit konnten die Einrichtungen 268 lang- oder kurzfristige Projekte realisieren.